DIPLOMATIE IST ZU WENIG
Interview mit Habib Chamoun-Nicolàs
Was die meisten von uns vielleicht stets vermutet haben, hat Wikileaks offenbart. Die höfliche Inszenierung bei Verhandlungen ist zu wenig – es bedarf der profunden Analyse und einem breiten Spektrum an kommunikativen Werkzeugen, um ein gemeinsames Win-Win zu erzeugen.
Prof. Chamoun-Nicolàs – was sind die Lerninhalte in dem Kurs „International Trade and Diplomatic Negotiations"?
In dem Kurs geht es weniger, um „Diplomatie“ an sich wie sie vielleicht im politischen Sinne verstanden wird. Es geht um die Kunst des gelungenen Miteinander in Verhandlungen und in de Art wie man miteinander erfolgreich Geschäfte macht. Dazu gehört natürlich mehr als eine höfliche Wirkung nach Außen. Es geht zunächst darum, den anderen besser zu verstehen - seine Stärken aber auch Schwächen, seine Beweggründe und Ziele aber auch kulturelle, politische und rechtlichen Einflüsse, die schlussendlich sein Verhalten, seinen Kommunikationsstil und natürlich Entscheidungen prägen.
Durch diese Erweiterung der eigenen Perspektive auf sein Gegenüber und sein umgebendes System, verbessert man nicht nur sein persönliches Verständnis der Situation, sondern auch die eigene Lösungskompetenz. Das ist eine wichtige Vorarbeit für alle Verhandlungen, um etwaige Blockaden zu antizipieren und mögliche Lösungsvorschläge zu erarbeiten.
Wie gehen Sie dabei vor, um den Studenten diese komplexen Lerninhalte zu vermitteln?
Die Forschung der letzten Jahre hat gezeigt, dass Lerninhalte optimal und nachhaltig durch praktische Anwendung internalisiert werden, d.h. Fachinhalte werden im Kurs direkt durch praktische Anwendung trainiert. Neben der klassischen Wissensvermittlung sind daher Simulationsprogramme der Schwerpunkt des Kurses. Ähnlich wie bei den Kursen in Texas (Anm.: Marketingsimulation) und Florida (Anm. Finanzsimulation) absolvieren die Studenten ein speziell entwickeltes Programm, um komplexe und herausfordernde Verhandlungssituationen miteinander zu bewältigen.
Das zuvor vermittelte Fachwissen kann so unmittelbar angewendet und trainiert werden. Der zusätzliche Nutzen ist natürlich auch die Selbsterkenntnis der eigenen Stärken und Schwächen sowie Verhaltensmuster in Stresssituationen. Wichtig ist dabei, die eigenen Stärken weiterhin zu optimieren und persönliche Schwächen zwar zu bearbeiten, aber auch nicht zu dramatisieren.
Ziel des Kurses ist es, durch Methodik und Techniken, die eigene Empathie und Lösungskompetenz auch in schwierigen Verhandlungssituationen zu stärken.
Welche Simulationsprogramme sind das?
Für diesen Kurs (19.-22. Mai 2011 in Wien) sind zwei Simulationen vorgesehen. Das erste Programm behandelt die Verhandlung zwischen Staaten – in diesem Falle amerikanische Staaten. Diese Simulation macht die Komplexität der Systeme, innerhalb derer wir uns bewegen, deutlich. Es geht dabei darum, die zahlreichen Einflussfaktoren der jeweiligen Rahmenparameter z.B. Ressourcen, Gesetzgebung aber auch der verschiedenen Stakeholder z.B. Politik, Arbeitnehmervertreter, etc. zu reflektieren und mögliche Szenarien für die Verhandlungsstrategie und Taktik zu entwickeln.
Hier wird auch deutlich, wie stark die jeweilige lokale Rechtssituation und Ökonomie Auswirkungen auf die unternehmerische Situation und Entwicklungsmöglichkeiten haben. Die zweite Simulation bezieht sich auf die medialen Kommunikationskanäle für die Verhandlung. Ich meine damit das Internet und seine Applikationen. Es gibt einen großen Unterschied zwischen der persönlichen Verhandlung und der schriftlichen via Mail. Hier möchte ich ebenfalls die Sensitivität der Studenten für die Kommunikationstechnik stärken. Speziell, da in Zeiten der scheinbar „ewigen“ Speicherung von virtuellen Inhalten, kommunikatives Fehlverhalten sehr lange dokumentiert bleibt.
Warum werden für die Simulation amerikanische Staaten (Nord- und Südamerika) verwendet?
Die Kurse der IMADEC werden von erfahrenen europäischen Managern besucht. Europa ist geprägt von einer komplexen kulturellen und rechtlichen Landschaft. "Europa" ist daher Alltag und mitunter stark geprägt von direkten persönlichen Erfahrungen, die sich für das interaktive Lernen als hinderlich erweisen könnten. Für die Simulation haben wir daher die amerikanischen Staaten gewählt, weil wir damit diesen Führungskräften eine andere Art von Komplexität bieten und so die Analysefähigkeiten und die Sensitivität gegenüber Beziehungsmustern in Verhandlungssituationen stärken. Nord- und Südamerika sind eher fremde ökonomische Systeme, wenn auch europäisch beeinflusste Kulturen und Rechtssysteme. Viele europäische Unternehmen entdecken nicht nur die USA und Kanada, sondern auch vermehrt Latein- und Südamerika. Das ist ein weiterer Grund für die Auswahl für das Simulationsprogramm.
Was sind die häufigsten Fehler bei Verhandlungen in Süd- bzw. Latein Amerika?
Einer der häufigsten Fehler ist sicherlich, dass man sein Gegenüber unterschätzt. Wobei dieser Fehler eher US-Amerikanern passiert als einem Europäer. Das Ausbildungssystem in z.B. Mexiko ist hervorragend und die unternehmerischen Werte der mexikanischen Wirtschaft sind denen in Europa nicht unähnlich. Europa hat einen guten Ruf in Mittel- und Südamerika und viele meiner Landsleute (Anm. Mexikaner) sind sehr angetan von der europäischen Kultur und Wirtschaft. Manchmal gibt es – trotz der guten Ausbildung - noch Probleme mit dem Selbstwertgefühl. Außer natürlich in Argentinien. Aber wenn man das in seinen Gesprächen und Verhandlungen berücksichtigt und wertschätzend und respektvoll kommuniziert, wird ein gutes Geschäftsmodell auch mit nachhaltigem Geschäftserfolg belohnt.
Jänner 2011